Es ist ein wunderschöner Tag in Torgau mit Sonnenschein und buntem Herbstlaub, als mich vor der Kulturbastion Jessy James LaFleur freudestrahlend umarmt und sagt, wie sehr sie sich freut, mich zu sehen – obwohl wir uns noch nie zuvor begegnet sind. Nur einer von vielen Momenten, die mich innehalten und mich selbst hinterfragen lassen, und ein kleiner Vorgeschmack auf das, was wir an diesem Abend mit ihr erleben dürfen.
Im Rahmen der Dialogreihe „Die PfD im Gespräch mit…“ haben wir Jessy James LaFleur nach Torgau eingeladen. Sie nennt sich selbst eine Nomadin, eine Wanderin, die beinahe nicht rechtzeitig bei uns angekommen wäre – wieder einmal aufgrund der Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn. Doch sie kam an, und brachte weit mehr mit, als wir erwartet hatten.
Der Abend begann mit ihrem Programm „Doma“, in dem sie durch Poesie und persönliche Geschichten über Heimat, Freiheit und Identität sprach. Ihre Texte waren voller Energie, ehrlich und direkt, und sie berührten das Publikum tief. Man sah es in den Gesichtern, hörte es in den leisen Zustimmungen und dem gelegentlichen Kopfnicken. Was besonders beeindruckte: Obwohl Jessys Worte Emotionen weckten, schuf sie gleichzeitig einen Raum, in dem auch konträre Meinungen willkommen waren. Es fühlte sich sicher an, eigene Gedanken zu teilen, selbst wenn sie sich von dem unterschieden, was gerade vorgetragen wurde.
Nach ihrem poetischen Auftritt ging der Abend in den zweiten Teil über. Jessy verließ die Bühne, setzte sich zu uns und verwandelte die Kulturbastion in einen Ort des Gesprächs. Die Distanz zwischen Künstlerin und Publikum verschwand, und wir sprachen nicht nur über die Probleme, die sie in ihren Texten ansprach – die Spannungen in einer immer stärker gespaltenen Gesellschaft –, sondern auch über die vielen kleinen Lösungen, die es hier, im „Osten“, bereits gibt. Jessy betonte, wie wichtig es sei, nicht nur auf das Negative zu schauen, sondern die kleinen Erfolge und positiven Entwicklungen zu sehen, die oft übersehen werden.
Ein zentraler Gedanke, der sich durch den ganzen Abend zog, war Jessys Bild von sich selbst: Sie sagte, sie habe keine Wurzeln, sondern einen Blumentopf. „Ich kann überall ein Zuhause haben“, erklärte sie uns, „weil ich alles, was ich brauche, mitnehmen kann.“ Dieses Bild eines transportablen Zuhauses sprach viele im Publikum an, gerade in einer Region, in der Heimat und Identität oft eng mit einem festen Ort verbunden sind. Jessys Worte öffneten einen neuen Blick auf die Idee von Heimat – nicht als festgelegter Ort, sondern als etwas, das wir in uns tragen können.
Die anschließende Diskussion war ebenso intensiv wie der erste Teil des Abends. Viele im Publikum teilten ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken über Zugehörigkeit, Freiheit und den Wunsch nach einem besseren Miteinander. Dabei entstand eine besondere Verbindung zwischen uns allen. Es war ein Raum, in dem nicht nur Jessy ihre Geschichten erzählte, sondern auch wir – und dabei spürten wir, dass wir alle, trotz unterschiedlicher Lebenswege, doch so vieles gemeinsam haben.
Dieser Abend in der Kulturbastion war mehr als eine bloße Performance. Es war ein Moment der Begegnung, des Austauschs und des gemeinsamen Nachdenkens. Wir gingen nicht nur mit Jessys Worten nach Hause, sondern auch mit dem Gefühl, dass wir – jeder auf seine Weise – unser eigenes „Blumentopf-Zuhause“ gestalten können.